Bemerkungen zum Lokunglück Reihe 38 auf der Strecke Tanvald - Polubny im Jahre 1945

© F. Wolf

Die hier geschilderten Erkenntnisse über die im Jahre 1945 verunglückte Lok Reihe 38.2605 auf der Zahnradstrecke Tanvald - Polubny (heute Tanvald - Harrachov) dienten ursprünglich lediglich Privatinteressen. Aufgrund gestiegenem Allgemeininteresse an dieser interessanten Strecke in den letzten Jahren wurde dieser Beitrag im web veröffentlicht.


Relativ gut erinnere ich mich an die abgestürzte Lokomotive mit Tender, die auf dem Hang unterhalb der Schienenabschnitts Prichovice (Prichovitz) - Dolni Polubny (Unterpolaun) lag. Als Vier- bis Fünfjähriger konnte ich Ende vierziger Jahre anläßlich Autofahrten die Unfallstelle häufig beobachten - insbesondere erinnere ich mich an einige Einzelheiten hinsichtlich der Wrackliquidation im Jahre 1948. Auch später - noch Ende fünfziger Jahre - konnte ich bei Fahrradfahrten Lokomotivereste auf dem Hang sehen.

Bemerkung zur Wrackliquidation

Im Abstand von 55Jahren erinnere ich mich an folgende Einzelheiten:
Eines Tages im Jahre 1948 erschien - meiner Meinung nach auf der linken Straßenseite unterhalb der Unglückstelle (bei Fahrt bergaufwärs von Tanvald nach Prichovice) - ein provisorisch aufgebauter kleinerer Kran mit einem handangetriebenem Flaschenzug. Dieser Kran ähnelte mit seiner „dreibeiniger“ Konstruktion dem ursprünglichen Bahnhofskran in Tanvald-Sumburk (dieser Kran wurde in den 50-gen Jahren durch den bekannten Portalkran ersetzt; auch dieser Kran wurde in der jüngtsen Zeit 2005 anlässlich der Bahnhofsgebäuderekonstruktion abgebaut). Auf der anderen Straßenseite (unterhalb des Hangs mit der Lok) lagen bereits Lok- und Tenderteile. Über den Kranaufbau auf der linker Straßenseite wundere ich mich noch heute; allerdings beim genauen Betrachten der Straßenränder auf den Fotografien kann man feststellen, daß der Kran wegen dem tiefen Graben auf der rechten Seite nicht aufbauen ging (Fig.1).


click to enlargeFig. 1 Lage der Lok mit Hintergrund

Bei nächster Gelegenheit - einige Tage später - stand bei dem Kran ein offener Lastwagen (meiner Meinung nach ein Tatra 111 o.ä.) und ein Antriebsradsatz hing auf dem Kranhaken. Später habe ich dieses Automobil vollgeladen mit Radsätzen bei Durchfahrt durch Tanvald gesehen.
Die Liquidationsarbeiten verliefen relativ schnell - zu meiner Verwunderung blieben einige, von der Straße gut sichtbare Teile, auf dem Hang liegen. Gut sichtbar war ein rostiges Rauchkammerteil, ein Rahmenteil mit Kesselstütze und verschiedene, auf dem Hang verstreute Metallteile. Wahrscheinlich existierte bereits damals lediglich Interesse an qualitativ hochwertigen Material oder an noch verwendbaren Ersatzteilen. Auch die Stelle an der die Lokomotive die Schienen verließ, war nach Jahren gut zu erkennen - der Bahndamm war auf dem Unglücksabschnitt anscheinend nur provisorisch repariert.









Untersuchungen vor Ort

Die Geschichte mit der Lokomotive habe ich nicht vergessen - als ich in den neunzigen Jahren wieder nach Tanvald kam, überlegte ich, die Unfallstelle erneut aufzusuchen. Ich war neugierig, ob in der langen Zeit (56 Jahre) die Lokomotivreste beseitigt wurden. Für dieses Unternehmen bereitete ich mich ein wenig vor: ich informierte mich über die Loks Reihe 38 (frühere Bezeichnung P8) und besorgte ihre Abmessungen (im web; siehe 1.2 - Fig. 2).


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Fig. 2 P8-Lokabmessungen

Dieser Lokomotivtyp war anscheinend kein seltenes Exemplar - seit 1906 bis zum Ende des ersten Weltkriegs wurden ca. 2350 Stück erstellt; die Gesamtproduktion bis 1923 belief sich auf mehr als 3500 Stück. Die Loks waren bis ca. 1974 im Betrieb. Diese Lokomotivart konnte an unregelmäßiger Anordnung der Antriebsradsätze leicht erkannt werden; während die beiden vorderen Achsen dicht beieinander lagen (1880mm bei einem Raddurchmesser von 1750mm), lag die hintere Achse mit Abstand von 2700mm fast unter der Feuerbüchse (gut sichtbar auf zeitgenössischen Fotos oder Fig. 2)

Interessehalber - einige weitere Angaben: Durchmesser der Laufräder - 1000mm; max. Geschwindigkeit-100km/Std.; Leistung - 1180PS; Gewicht - 78,2t.

Meinen Plan realisierte ich erst im Jahre 2001. Von Tanvald aus über Dolni Polubny ging ich im Sommer 2001 bis zu der bekannten Stelle zu Fuß. Da die Straßenführung unterhalb der Unfallstelle inzwischen geändert wurde und die Stelle selbst zum Teil stark mit Bäumen bewachsen war (das kleine Haus ist auch verschwunden), musste ich mit Hilfe meiner Fotos etwas suchen (1.1) - (Fig.1; Fig. 3; Fig. 3a).


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Fig. 3 Lage der Lok

Von der Straße kletterte ich hinauf bis zu dem Schienenstrang (- der Aufstieg schien mir aus verständlichen Gründen wesentlich anstrengender als vor Jahrzehnten).
Die Suche habe ich bei den Schienen in der Kurve angefangen - die Stelle, an welcher die Lokomotive die Schienen verlassen hat, lässt sich noch heute leicht finden; der Bahndamm weist immer noch leichte Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Zustand (Fig. 4).


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Fig. 3a Hintergrund in heutiger Zeit


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Fig. 4 Entgleisstelle (vor dem Motortriebwagen)

Der Weg der Lok auf dem Bahndamm bis zur Stelle auf der sie liegen blieb, lässt sich aufgrund des dichten Bewuchses nicht mehr feststellen. Nach einigem Herumirren fand ich das erste Teil (Fig. 5). Um was es sich hier handelt, ist mir nicht klar - ggf. ist es ein ehemaliges Bestandteil von Feuerbuchse oder ein Tenderteil.
Etwas weiter kam eine interessantere Sache (Fig. 6) zum Vorschein - es erinnert an etwas Bewegliches oder an ein Teil der Steuerung - wer detailliert P8-Loks kennt, wüsste eventuell, um was es sich handelt.
Ich setzte den Weg entlang einer gedachten Verbindungslinie beider Teile, um zu dem ehemaligen Vorderteil der Lok zu gelangen. Hier hatte ich in Erinnerung außer einem durchgerosteten Rauchkammerteil auch noch Reste von Rahmenteilen und die aus der Wiese ragende Kesselstütze. An dem Tag fand ich jedoch nur noch ein Teil elektrischer Leitung, wie sie üblicherweise auf Außenflächen der Dampfloks oder Tender verwendet wurden. Es handelte sich um ein paar isolierte Drähte in einem heute schon durchgerosteten Stahlrohr.


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Fig. 5 Objekt Nr.1


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Fig. 6 Objekt Nr.2

Am Abend habe ich noch einmal den Lokplan angesehen - die Lokomotive war anscheinend länger, als ich in dem schwierigen Terrain angenommen habe. Am nächsten Tag suchte ich tiefer in dem Wildwuchs; zuerst zeigte sich Stück Profileisen in der Form eines flachen V (Fig. 7).


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Fig. 7 Objekt Nr.3

Erst in einer Entfernung weiter zeigte sich - stark zugewachsen - das Teil, das vor fast 60 Jahren auffallend aus der damaligen Wiese ragte (Fig. 8). Gemäß der Form könnte sich um eine Rauchkammer- oder Kesselstütze handeln.
Beide zuletzt beschriebenen Teile sind eventuell an einem weiteren Teil befestigt, das sich unterirdisch befinden könnte.


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Fig. 8 Objekt Nr.4

Es konnte in dem dichten Sommerbewuchs auf Anhieb weiter nichts mehr gefunden werden. Es ist jedoch möglich, dass bei einer ausführlicheren „archäologischen“ Untersuchung weitere Teile zum Vorschein kämen.
Es wäre interessant festzustellen, um welche Lokteile sich genau handelt. Eine kleine Anzahl von P8-Lokomotiven blieb erhalten - vielleicht könnte jemand die beschriebenen Komponenten identifizieren.


Zusammenfassung

Die Lokomotivreste wurden nie vollständig beseitigt. Es ist überraschend, dass im Zeitabstand von mehreren Jahrzehnten noch immer einige Teile auffindbar waren.
Das Lokomotivunglück bedeutete damals für die Region um Tanvald eine Sensation. Ich hörte selbst einige Versionen, wie das Unglück passierte. Gemäß der neuesten, genauen Untersuchungen (siehe 2.5) entsprachen sie allesamt nicht der Wahrheit sondern entsprangen sie eher der Erzählerphantasie.
Vielleicht ließen sich die Lokreste für die Nachwelt retten...


Benutzte Quellen:

(1.1) Zeitgenössische Fotos (2 Stück, die ich noch besitze)
(1.2) Web –www.museumslok.de
(1.3) Kniha o železnici; V. Mareš, E. Holan, 1936 K. Synek, Praha


Weitere interessante Literatur und Quellen:

(2.1) web - ?eleznièní spoleènost Tanvald
(2.2) web – albico.cz
(2.3) Die Zackenbahn; Herausg. K.Ch.Kasper; 2003; ISBN 3-930567-17-2
(2.4) 100let trati Tanvald – Kořenov – Harrachov; Saxi Special; 2002
(2.5) Zpráva o pátrání po příčině násilné smrti W. Bienerta, strojvůdce státních drah, k níž došlo dne 5. srpna 1945 v Dolním Polubném; Tomáš Gál; Železniční společnost Tanvald; 2005


FW-HH, März 2006

tanvwolf@aol.com